Naturschutzgruppe ist ein Vorreiter

Bild: Ein Teil der Aktiven der Naturschutzgruppe: Christopher Fischer, Fred Nies, Laura Theiß, Alexandra Simon-Keutzer, Verena Pieroth , Ulrich Klehm, Foto: Lenz
Ein Teil der Aktiven der Naturschutzgruppe: Christopher Fischer, Fred Nies, Laura Theiß, Alexandra Simon-Keutzer, Verena Pieroth , Ulrich Klehm, Foto: Lenz

Kreis-Anzeiger vom 07.08.2021

Bereits vor zirka 70 Jahren haben die Akteure am Hohen Berg das umgesetzt, was heute in aller Munde ist: einen aktiven Einsatz für die Artenvielfalt und die Umwelt. Die Jugendarbeit hat Vorbildcharakter.

 

 OBER-LAIS - Es gibt den WWF, Greenpeace, den BUND, den Nabu und vieles mehr. Junge Menschen wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer mobilisieren Millionen von Schülern, für den Klimawandel auf die Straße zu gehen, dem schließen sich Omas for Future und viele andere Organisationen an. Es scheint, das Thema Naturschutz erreicht das Bewusstsein einer breiten Masse. Wobei die Überzeugung zwischen tief verwurzelter Naturliebe und strategischem Mitläufertum offensichtlich variiert.

 

Vor fast 70 Jahren, also deutlich früher als all diese großen Bewegungen, begannen die Vogelschützer in Ober-Lais, sich um die gefiederten Freunde zu sorgen. Sie starteten mit der Winterfütterung, dem Nistkastenbau, erfassten die vorkommenden Arten, beobachteten die Zugbewegungen, schützten die Fledermäuse, bauten Rückzugsmöglichkeiten für Hornissen, Igel und Schwalben. Sie trafen sich am Hohen Berg, Alt und Jung machten sich während zahlreicher Arbeitseinsätze die Hände schmutzig und zauberten Projekte aus dem Boden. Nicht weltbewegend, aber die Heimat verändernd. Allein die Erfolgsgeschichte des wohl ältesten ehrenamtlichen Naturschutzvereins in der Wetterau, sie haben etwa 500 Mitglieder, Ober-Lais hat zirka 660 Einwohner, würde zahlreiche Kapitel füllen.

 

Mit der Etablierung vieler Projekte gelang dem Verein - der zwischenzeitlich dem Nabu angehörte und heute Naturschutzgruppe Ober-Lais heißt - , von seiner Gründung bis heute die Jugend miteinzubinden. In den Sommerferien 1970 organisierte das Team um Franz Schweda die erste Jugendfreizeit. Anfangs mit 35 Kindern, später wurden es 100 mit 40 Betreuern. Nach einem Ausflug nach Fulda 1972 beschloss man, eine Jugendgruppe zu gründen, die bis heute Bestand hat und ihresgleichen sucht.

 

Wer heute die oft gequälten Versuche verschiedener Kommunen und Institutionen verfolgt, die Jugend für sich zu gewinnen, mag erstaunt zu der eingeschworenen Mannschaft nach Ober-Lais schauen. Wie ist es ihr gelungen, über die Jahre hinweg junge Leute für Vögel, Bienen und Co. zu begeistern?

 

Vorsitzender Ulrich Klehm, Christopher Fischer, Fred Nies, Verena Pieroth, Alexandra Simon-Keutzer und Laura Theiß sitzen auf der Terrasse des Info-Zentrums am Hohen Berg. Er liegt nur wenige 100 Meter oberhalb des Dorfes, und doch scheint es eine andere Welt zu sein. Die Aussicht ins Tal verleitet zum tiefen Durchatmen, die Ruhe hier oben zum Herunterkommen, der Blick auf den von Schafen beweideten Hang, auf Insektenhotels, Lehmhütten, Nistkästen-Sammlungen und vieles mehr zeugt davon, dass sich hier keine Eintagsfliegen tummeln. "Hier oben treffen sich alle Generationen", erzählt Verena Pieroth. Homo sapiens zwischen zwei und 80 Jahren. Es ist eine gewachsene Gemeinschaft unter dem Dach der Natur.

 

Die meisten der Vorstandsmitglieder sind Eigengewächse. Christopher Fischer erzählt amüsiert aus seinen Kinderjahren im Verein und dem Versuch, hier oben ein Aufwindkraftwerk nach spanischem Vorbild zu bauen. Das trichterartige Gebilde stand dann auch, obwohl die Ober-Laiser Sonne nicht die mediterrane Kraft entwickelte und die Erfahrungen der Thermo- und Ergodynamik noch nicht so recht ausgeprägt waren. Fred Nies sitzt neben ihm. Er ist einer der scheinbar unermüdlichen Motoren, Umwelt-Preisträger mit Macher-Mentalität. Alle sind sie als Betreuer tätig, bei den Jugendfreizeiten ohnehin, die meisten auch bei der sich jede zwei Wochen treffenden Jugendgruppe. Nies zeigt ein Bild von der Jugendfreizeit aus 2002. Darauf sind etwa 40 Kinder und Jugendliche mit Pfeil und Bogen sowie Stollenaxt zu sehen, dahinter vielleicht 20 gut gelaunte Erwachsene. Ohne Zweifel, sie haben mächtig Spaß.

 

Die mittlerweile fünftägigen Zeltlager bilden neben der Veranstaltung an Himmelfahrt die Höhepunkte des Vereins. Mittwochs ist Aufbau und Kennenlernen, täglich gibt es vier Stunden Programm und zugleich viele Möglichkeiten zur Selbstbeschäftigung. Samstag ist Familienabend, an dem die Projekte vorgestellt werden. Seit 2001 gibt es jährlich ein besonderes Motto.

 

Aus den Betreuern und Vorstandsmitgliedern sprudeln die Erlebnisse heraus: Als sie Brot buken, einen Webstuhl auf den Hohen Berg transportierten, das Thema Bienen bearbeiteten. Oder als sie die Kinder und Jugendlichen in die Zeit von vor 10.000 Jahren entführten. Die Helfer organisierten einen Zoo mit Pony, einem Ziegenbock, Schweinen, Hühner und Hasen. Die Reaktionen der Kinder beflügelten das Orga-Team: 1976 ließen sie einen Kampfhubschrauber der Amerikaner in der Nähe landen, zwei Piloten kamen und flogen dann übers Vogelschutzgebiet. Die Polizei und die Rettungshundestaffel waren da, in einem Jahr wurde eine Hebebühne aufgestellt, ein Astrophysiker wandelte auf dem Hohen Berg. Und immer wieder waren es Themen rund um die Natur.

 

Erklärtes Ziel ist es, den Kindern Wissen und Fertigkeiten mitzugeben, die sie später auch mal gebrauchen können. Fred Nies nennt ein Beispiel. Die Kinder sollten die heimische Vogelwelt erkunden und pro Gruppe eine Art vor den anderen vorstellen. Die "anderen" waren rund 60 Personen. Unter den vortragenden Gruppen, deren Referat zehn Minuten dauerte, waren sechs- bis zehnjährige Knirpse. "Das war spitze, in dem Alter vor dieser großen Gruppe zu reden." Nicht nur das Wissen, sondern auch diese Erfahrung sei den Kindern später in der Schule zugutegekommen. Als das Thema Steinzeit in der Schule behandelt wurde, übten Eltern und Kinder der Jugendgruppe sich im Feuermachen, lernten gemeinsam, dass der Zunderpilz das Feuerzeug der Steinzeit war. Der Funke des Themas war auch auf die Erwachsenen übergesprungen.

 

Das selbstständige Auseinandersetzen mit Aufgaben ist Strategie. "Hier ist das Material, macht mal." Ideal sei es, wenn sich kleine Grüppchen bilden, die dann andere mitziehen, erzählt Christopher Fischer. Mit dem Alter steigen die Ansprüche an ein Thema. Mit 14 oder 15 flattern schon mal die Schmetterlinge im Bauch, die Fühler werden auch mal nach zweibeinigen Individuen ausgestreckt. Auch durch ein Studium oder den Beruf verschwinden dann einige von der Bildfläche. "Wenn einer von zehn Jugendlichen beim Verein bleibt, ist alles gut", nennt Nies die Messlatte. Wenn sie später, vielleicht sogar mit ihren eigenen Kindern wiederkommen, sei das der Beweis für die Nachhaltigkeit. Da ist was geblieben. Die Zeitspanne dazwischen ist unwichtig.

 

"Ziel ist es, die Kinder wieder an die Natur heranzuführen", sagt Klehm. Und dafür müsse man schon einiges bieten. Müssen die Betreuer auch in die Rolle der Animateure steigen? Das Rezept lautet: Abwechslung ist gefragt, die Zeitspanne darf nicht so lang sein, es müssen Themen sein, mit denen sie die Jüngeren nicht nur mit Kuchen und Kekse locken müssen, sondern die Begeisterung und Neugierde hervorrufen. Das Handy gehört mittlerweile dazu. Waren die Betreuer in den ersten Jahren noch skeptisch, werden heute Ladestationen aufgebaut. Die Möglichkeit, sich den digitalen Unterhaltungsmöglichkeiten hinzugeben, ist da. In der Praxis beobachten die Betreuer allerdings, dass auch die Kinder die Gemeinschaft auf dem Hohen Berg schätzen und es genießen, sich anderen Kindern zuzuwenden. Kartenspiele wie Poker haben Hochkonjunktur. Natürlich gibt es auch spezielle Vögel. "Einige kommen hier hoch und haben keinen Bock. Dann sind sie hier oben und entwickeln Ideen und machen was", erzählt Nies, der Mann der Überzeugung. Das Gleichgewicht zwischen festen gemeinsamen Zeiten und dem Freiraum ist sorgfältig gewählt. Verbotszonen auf dem 2,5 Hektar großen Gelände, wie zum Beispiel an den Teichen und am Grill, gibt es auch. Die Regeln, das bestätigt Keutzer, werden eingehalten. Vandalismus gibt es hier keinen. Der nahe liegende Grund dafür: Fast jeder in Ober-Lais und Umgebung hat einen Bezug zum Verein und dem Gelände.

 

Die Organisation, sei es für die Freizeiten oder die regelmäßigen Treffen, verlangen jede Menge Einsatz. Was motiviert die Helfer? Für Ulrich Klehm sind es die Themen rund um den Naturschutz und die tolle Gemeinschaft. "Wir halten alle zusammen." Für Fred Nies, der seit 50 Jahren im Verein dabei ist, ist es vor allem die praktische Seite, das Gefühl, selbst etwas zu bewegen. Er hat schon viele getroffen, die über Naturschutz reden. Sie hätten allerdings noch niemals einen Nistkasten zusammengebaut. Für Nies ist es die Nachhaltigkeit, dass die nachfolgende Generation auch noch etwas von der Natur hat. "Wenn wir den einen oder anderen Vogel retten und der hierbleibt, ist das toll. Jeder Mensch hat eine große Verantwortung für die Natur. Das, was wir machen können, versuchen wir."

 

Wenn Christopher Fischer auf den Hohen Berg kommt, kann er abschalten. Dann betrachtet er das weitläufige Gelände als einen großen Garten, aus dem die Mitglieder ihre Motivation schöpfen - in der Gemeinschaft und im Miteinander. "Man besinnt sich auf seine Wurzeln", beschreibt er. "Es ist dieser besondere Platz", schlussfolgert Verena Pieroth. Weit weg vom Alltag.

 

Ist die Ferienfreizeit vorbei, sind alle Kinder zu Hause, empfindet Alexandra Simon-Keutzer eine Leere. "Man befindet sich wieder in einer ganz anderen Welt, muss sich umstellen." Sich hier oben zu tummeln, ist für sie ein Stück Freiheit. Spannend sei für sie zu beobachten, welche Kinder nachkommen, wie sie sich entwickeln, was aus ihnen wird. Laura Theiß kommt aus Mockstadt. "Das war für mich Stadt, da gab es so was nicht." Der Opa ihres Mannes hatte den Verein mitgegründet. Heute ist die Mutter zweier Kinder als Betreuerin fest dabei. Ihre beiden Kinder fragen schon mal: "Mama, können wir nicht in den Vogelschutz gehen, da ist es so ruhig."

 

In den Debatten um den Klimawandel und ihrer Vereinsarbeit sehen sie keinen Gegensatz. Die Fridays-for-Future-Bewegung sei für die Städter die vielleicht einfachere Möglichkeit, etwas für den Naturschutz zu tun, der Grundgedanke sei gut, sagt Christopher Fischer. "In Ober-Lais leben wir die praktische und direkte Umsetzung."